„Zukunft Erde Festival“ in Berlin
Zu einem Ort esoterischer Selbsterfahrung wurde für ein Wochenende die Aula der Max-Taut-Schule in Berlin Lichtenberg. 23 Gruppen und Einzelpersonen wirkten auf dem vom Berliner „Tian Gong Institut“ (www.tiangong.de) initiierten zweiten „Zukunft Erde Festival“ (12.-14.3.2010) mit: durch Vorträge, Workshops, musikalische und literarische Auftritte sowie in gemeinsamen Meditationen und Tänzen. Ihr proklamiertes Interesse galt der Neuorientierung in einer Welt, deren prekäre Situation akuten Handlungsbedarf aufweise. Diese Neuorientierung wurde auf ganz unterschiedliche Weise beschrieben und beschwiegen. Man informierte über sich und praktizierte Formen des eigenen Ausdrucks, um ein lebendiges Beispiel dafür zu geben, wie die Zukunft vom eigenen Geist und Wirken durchdrungen werden kann. Dass dies die kuriosesten Formen annahm, überrascht im pluralistischen Treiben der Religionen und Ideologien wohl weniger als die Tatsache, dass hier so viele der „weltanschaulichen Grenzgänger“ zusammentrafen – offensichtlich ohne einander zu stören.
Am Freitag begann das Festival mit Musik und Tanz. Der abgedunkelte große Saal, in dem ca. 200 leere Stühle zur Bühne gerichtet standen, wurde gegen 19 Uhr mit einer Ethno-Version des Ave Maria beschallt. In der Mitte, im warmen, zentrierten Scheinwerferlicht, wiegte sich ein Kreis von nur rund 15 Menschen umeinander. Der Personenkreis brach erst auf, als zu Michael Jacksons „Heal the World“ ein neuer Besucher aufgenommen wurde und man nun weit energischer den gesamten Raum tanzend einnehmen wollte. Nach diesem „Biodanza“ gab man sich allein oder zu zweit den Klängen der Musik hin und erwartete den letzten Programmpunkt des Abends, zu dem die Rastafaris gegen neun eine Runde Reggae auflegten. Man war gut gelaunt und kannte sich zumeist als Mitglied des Tian Gong Instituts oder als Anhänger des Vereins „Mutter Erde e.V.“ (www.muttererde.info).
Auch am Samstag blieben die meisten Stühle im Saal unbesetzt. Zu den Veranstaltungen kamen etwa 20 bis 40 Personen, die vorwiegend zur Anhängerschaft der Vortragenden zu gehören schienen. Elina Avatara von Mutter Erde e.V. sprach über die „Persönliche und planetare Heilung für Mutter Erde“, den Aufstieg der Erde in die fünfte Dimension und erklärte sich als eine der leitenden Führer dorthin. „Die Violetten“ unterbreiteten in ihrem Vortrag „Wie aus Utopien die Wirklichkeit entsteht“ ihr politisches Programm, das die Achtung von Natur und Selbst durch spirituelle Innenschau betont. Die Inhalte der Vorträge changierten zwischen einer Art emphatischer Religiosität, wie beispielsweise bei der Weltfriedensmeditation der Brahma Kumaris, und weltlicher Krisenbewältigung, wie bei dem Vortrag über „Bioenergetische Erkrankung und Heilung der Erde“ des Volkswirtschaftslehrers Bernd Senf, auf den der Umweltaktivist Franklin Frederick mit einer Präsentation über die Bedrohung durch die Ressourcenknappheit folgte.
Ein Höhepunkt dieses wie eine kaleidoskopartige Schau anmutenden Tagesprogramms war sicherlich der Besuch Sheikh Es¸ref Efendis vom Sufi-Zentrum Berlin. Er füllte wenigstens die leeren Plätze der Aula durch einige seiner Anhänger und „ergoss“ in seiner medialen Funktion zwischen den Heiligen und den Lebenden über den Zuhörer Weisheiten aus der „Quelle der Wahrheit und Barmherzigkeit“.
Am Sonntag wurde die Aula mit großen bläulichen Vorhängen ausgehängt, die sich beim Öffnen der Türen vom Wind berührt leicht durch den Raum bewegten. Elina Avatara leitete eine Meditation, um die „Persönliche und planetare Heilung für Mutter Erde“ praktisch voranzutreiben. Dazu reiste man körperlos im „kosmischen Ei“ ins Erdinnere, um von dort aus Frieden und Liebe an alle Menschen zu senden; man verharrte im Gefühl, das Paradies sei über die Welt und einen selbst gekommen, und kehrte schließlich in den leiblichen Körper zurück, um weiter am Festival teilhaben zu können. Tief beeindruckt und berührt ließen sich einige Teilnehmer in Hingabe auf den Boden gleiten und bekundeten Elina Avatara ihre Sprachlosigkeit. Es fiel offensichtlich schwer „zurückzukommen“. Anschließend kam ein Hare-Krishna-Mönch zu Wort und beteuerte vor allem die Weltoffenheit und Liberalität seiner Gemeinschaft im Umgang mit den verschiedenen „weltlichen“ Bedürfnissen ihrer Mitglieder; außerdem wies er auf die Besonderheit der Hare-Krishna-Bewegung hin, im Hinduismus an einen persönlichen Gott zu glauben.
Der Vegetarierbund sprach vom Ungeeignetsein des menschlichen Organismus zum Verzehr von Fleisch, wollte den Teilnehmern des Festivals jedoch nicht die Grausamkeiten einer Fleischindustrie zumuten, die mit ihrer Massenhaltungsmaschinerie die kategorische Ausbeutung ganzer Spezies betrieben. „Wir sind ja wahrscheinlich sowieso alle Vegetarier hier“, ließ der stellvertretende Vorsitzende Sebastian Zösch verlauten, was die Frage aufkommen ließ, warum dann diese alternative Ernährungsweise zum Thema gemacht wurde. Nach einem Vortrag von Simon Junge, einem Landwirt in der sogenannten „Versorgungsgemeinschaft“, der von der stark esoterischen Ausrichtung des Festivals überrascht war, folgte die Präsentation der „Deutschen Initiative für Exopolitik“. Robert Fleischer, der Gründer dieser Initiative, erläuterte seinen Zuhörern die unbezweifelbare Tatsache der Existenz außerirdischen Lebens. Er forderte, die Sichtungen fliegender Untertassen – das Wort U.F.O. (Unidentified Flying Object) stellt laut Fleischer bereits eine Diffamierung der Angelegenheit dar – endlich nicht mehr zu vertuschen, außerdem die Begründung einer transparenten Wissenschaft zur Erforschung der Phänomene extraterrestrischer Begegnungen auf unserer Erde.
Insgesamt war das zweite „Zukunft Erde Festival“ von einer freundlichen Atmosphäre der Toleranz geprägt. Man teilte eine „neutrale“ Örtlichkeit im öffentlichen Raum und verbrachte gemeinsam ein entspanntes Wochenende. Alles, was geeignet gewesen wäre, eine Kontroverse auszulösen, wurde nicht thematisiert. Man fragte nicht nach Unterschieden, sondern hob immer wieder Gemeinsamkeiten hervor. Die Vermeidung eines Diskurses über die offensichtliche Verschiedenartigkeit konnte freilich bei den Teilnehmern den Eindruck aufkommen lassen, man nutze das Festival mehr als Plattform der Rekrutierung von neuen Anhängern, als tatsächlich in Verbundenheit auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. So legitim dieses Anliegen wäre, müsste dann doch auf entsprechende Transparenz Wert gelegt werden. Es ist bei der Veranstaltung letztlich nicht klar geworden, ob die Betonung auf dem Event liegen sollte oder auf der Formulierung einer gemeinsamen Aufgabe auf dem Weg zur Sicherung und nachhaltigen Nutzung der Ressourcen unseres Planeten. Bei der Breite des Veranstaltungsspektrums bis tief ins Esoterische ist schließlich zu fragen, ob eine öffentliche Schule der geeignete Ort für die ideologische Selbstfindung einer Anzahl neu- und halbreligiöser Vereinigungen ist.
Tobias Junker, Berlin