Zurückgehende Mitgliederzahlen
Viel verbindet die Neuapostolische Kirche (NAK), Jehovas Zeugen (ZJ) und die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (Mormonen) eigentlich nicht. Zu verschieden sind die Gottes- und Menschenbilder dieser drei Gemeinschaften, die man oftmals als die wichtigsten christlichen Sondergemeinschaften (oder "Sekten") in Deutschland apostrophiert. Aber diese Beschreibung ist ungenau: So werden zumindest die Mormonen von vielen Beobachtern nicht dem Spektrum des Christlichen zugerechnet. Sie sind vielmehr - trotz ihres "christlich" klingenden Namens - ein eigener Typ von Religion, also eine neue Religion.
Die Zeugen Jehovas passen schon eher in das genannte Schema, obwohl sie Wert auf die Feststellung legen, dass sie kein Teil der weltweiten Christenheit sein wollen. Da sie wichtige Elemente des christlichen Glaubens (z.B. die Dreieinigkeit Gottes) in Zweifel ziehen, bewegen sie sich am Rande des Christlichen.
Gemessen daran, basiert die Neuapostolische Kirche zweifellos auf einem christlichen Fundament. Von den genannten Gemeinschaften steht sie den beiden großen christlichen Kirchen am nächsten. Dies findet seinen Ausdruck u.a. darin, dass beide die Taufe der NAK als gültig vollzogen ("rite") anerkennen. Dennoch kennt die Gemeinschaft einige Sonderlehren, die nicht übersehen werden sollten. Dazu gehört beispielsweise die Annahme, dass der Heilige Geist dem neu apostolischen Amt untergeordnet ist. Nach dieser Logik wäre Kirche im Vollsinn nur da möglich, wo neuapostolische Apostel sind. Dieser Befund ist für das Selbstverständnis der Neuapostolischen Kirche grundlegend - und er ist entschieden zu hinterfragen.
Was aber verbindet die drei Gemeinschaften? Sie sind die "großen" unter den kleinen Gemeinschaften. Zusammen haben sie in Deutschland mehr als eine halbe Million Mitglieder, weltweit wachsen alle drei beachtlich, in Deutschland (und anderen westeuropäischen Ländern) haben sie jedoch zurückgehende Mitgliederzahlen.
Zu den Einzelheiten: Die NAK hat in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren etwa 5500 Mitglieder verloren. Die Mitgliederzahl liegt derzeit bei nur noch 382800. Das ist ein Rückgang um rund 1,4%.1 Überdurchschnittlich verringerte sich die Zahl der NAK-Mitglieder in den östlichen Bundesländern: In Berlin/Brandenburg sank die Zahl um 2,51%, in Mecklenburg-Vorpommern um 2,95%, in Sachsen-Thüringen um 3,15% und in Sachsen-Anhalt um 3,54%. In den westlichen Bundesländern fiel der Mitgliederschwund deutlich geringer aus: In Nordrhein-Westfalen sank die Zahl um nur 0,54%, in Baden-Württemberg und Bayern um knapp 1% und in Niedersachsen um 1,08%. Dieser Befund lässt sich auch auf andere Länder Westeuropas übertragen: So ging in der Schweiz die Zahl der neuapostolischen Gottesdienstbesucher ebenfalls zurück.
Auch die Zeugen Jehovas räumen zurückgehende bzw. stagnierende Zahlen ein. In ihrem neuesten Jahrbuch nennen sie für Deutschland ein Nullwachstum, in den Jahren davor wurde ein Verlust von 1,0% angegeben. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren sich auch die Zahl der Taufen verringerte. Für 2002 wurden nur noch 3479 Taufen registriert, d.h. in etwa soviel wie schon in den letzten Jahren. 1995 belief sich ihre Zahl laut "Jahrbuch 1996" noch auf etwas mehr als 6000. Die Anzahl der Taufen kann durchaus als Indikator für die Attraktivität der ZJ gewertet werden, da sich normalerweise jede/jeder neu Geworbene taufen lässt. Die Taufe der Zeugen Jehovas wird im Übrigen von den ökumenischen Kirchen nicht anerkannt, u.a. auch, weil sie nicht "im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" vollzogen wird (vgl. Mt 28,19).
Und die Mormonen? Nach Informationen von Gunar Werner, Webmaster der interessanten mormonenkritischen Homepage www.mormonen.de, schließen die Mormonen zum 31. Juli 2003 ihre Leipziger Mission. Damit verringert sich die Zahl der Missionen im deutschsprachigen Raum von acht auf fünf. Geschlossen wurden bereits die Missionen in Wien und Düsseldorf. Damit reduziert sich auch die Zahl der aktiven Missionare. Wie man hört, werden die Schließungen mit gestiegenen Kosten begründet. Man wird jedoch davon ausgehen können, dass auch mangelnde Missionserfolge eine Rolle spielen. In Deutschland stagnieren die Zahlen schon seit einigen Jahren bei ca. 36000 Mitgliedern.
Es ist nicht einfach, diese Beobachtungen zu interpretieren - zumal eine gegenteilige Entwicklung zu erwarten wäre: Sind nicht die hohe Arbeitslosigkeit, die schwierige wirtschaftliche Lage, der offensichtliche Verlust an Werten und Orientierung, der Bedarf vieler Menschen an Ritualen und Lebensbegleitung - sind nicht all dies Faktoren, die strengen und verbindlichen Gemeinschaften den Zulauf sichern müssten? Sollte man nicht vermuten, dass die weltweite Globalisierung, die Krise von NATO und UNO, die Osterweiterung der EU, Konflikte wie der Irak-Krieg usw. die Menschen eher nach überschaubaren und (vermeintlich) Halt gebenden Organisationen fragen lassen? Mehr noch: War nicht 1989/90 im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung häufig eine "Invasion der Seelenfänger"2 für Ostdeutschland prophezeit worden?
Offensichtlich hat die tiefgehende Säkularisierung Deutschlands inzwischen auch die kleineren Religionsgemeinschaften erreicht. Bei einer Akademietagung erklärte der Pressesprecher der NAK die rückläufigen Mitgliederzahlen seiner Kirche in Deutschland wohl zu Recht wie folgt: "Der generelle gesellschaftliche Wandel zu Kirche und Religion, die zunehmend fehlende Bindungsbereitschaft und der Wertewandel machen auch vor der Neuapostolischen Kirche nicht Halt."3
Besonders auffällig sind diese Beobachtungen für Ostdeutschland. Zwar wird man einen Teil der rückläufigen Zahlen mit den nach wie vor starken Umzugsbewegungen in Richtung Westdeutschland erklären können, aber dennoch ist unübersehbar: In den Regionen mit der höchsten Arbeitslosigkeit Deutschlands, also in Teilen Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpommerns spielt Religion (gleich, ob in Gestalt der traditionellen Kirchen oder der traditionellen Sondergemeinschaften) bei der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme kaum noch eine Rolle. Die kleineren Religionsgemeinschaften sind in dieser Problematik den großen Kirchen viel näher als sie glauben wollen.
Anmerkungen
1 Vgl.www.naktuell.de/0203/0203005.html.
2 So der Name einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Leipzig 1991.
3 Peter Johanning, Alte und neue Zeit, Vortrag zur Akademietagung, zu finden unterwww.nak.de.
Andreas Fincke