Sondergemeinschaften / Sekten

Zwei Mitglieder der „Zwölf Stämme“ wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt

(Letzter Bericht: 5/2014, 185) Das Amtsgericht Nördlingen in Bayern verurteilte am 20. Januar 2015 eine der Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“ angehörende Frau wegen gefährlicher Körperverletzung zu neun Monaten Haft auf Bewährung und 180 Sozialstunden. Eine zweite Frau wurde zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Anlass des Strafverfahrens waren Stockhiebe der Mütter, die der RTL-Journalist Wolfram Kuhnigk heimlich mit versteckter Kamera aufgezeichnet hatte. Die Aufnahmen zeigten die Frauen, wie sie mit einer Weidenrute ihre eigenen Söhne auf den Po schlugen. Richter Gerhard Schamann musste abwägen, ob die Videoaufnahmen vor Gericht verwertet werden können oder aber einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, weil sie heimlich und ohne Zustimmung der betroffenen Personen (Recht am eigenen Bild) aufgezeichnet wurden. Im Rahmen der Abwägung entschied der Richter, dass der Verdacht der gefährlichen Körperverletzung (gefährliche Körperverletzung, weil die Weidenrute im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 ein gefährliches Werkzeug darstellt) schwerer wiege als das Recht am eigenen Bild.

Bereits im September 2013 hatten mehr als 100 Polizisten und Sozialarbeiter 41 Jungen und Mädchen im Alter zwischen 18 Monaten und 17 Jahren wegen Gefahr für das Kindeswohl vom Anwesen der Gemeinschaft in Klosterzimmern geholt und in Obhut genommen. Aktuell befinden sich noch 16 Kinder in der Obhut des Jugendamtes.

Die Glaubensgemeinschaft beansprucht für die Eltern innerhalb der Gemeinschaft ein körperliches Züchtigungsrecht gegenüber den eigenen Kindern. Es herrscht die Auffassung, dass das Züchtigungsrecht Ausdruck biblisch abgeleiteter elterlicher Autorität ist. Dabei beruft man sich u. a. auf Sprüche 13,24: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.“

Das deutsche Recht sieht in § 1631 BGB ein Verbot körperlicher Bestrafungen bei der Ausübung der Personensorge vor. Demnach haben Kinder ein Recht auf „gewaltfreie Erziehung“, und „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“. Eine Beschränkung der Strafbarkeit der Eltern nach Ausübung des Züchtigungsrechts knüpft an das Kriterium der „Erheblichkeit“ der körperlichen Beeinträchtigung an. Das Gericht sah in diesem Zusammenhang – Schlagen mit einer Weidenrute auf den Po – die Erheblichkeit als gegeben an. Es handele sich hier um eine gefährliche Körperverletzung.

Auch wenn eine unreflektierte und fundamentalistische Bibelauslegung vom Recht der Religionsfreiheit umfasst wird und Art. 4 Grundgesetz (GG) ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht ist, gelten die verfassungsimmanenten Schranken. Hierunter fallen die Grundrechte Dritter und somit auch die der Kinder, die in der Gemeinschaft der Zwölf Stämme leben. Die Kinder und Jugendlichen haben ein verfassungsrechtlich gewährtes Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG. Eine Nichtbeachtung elementarer Menschen- und Grundrechte ist auch mit Verweis auf die Religionsfreiheit unzulässig. – Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.


Ronald Scholz, Berlin