Freidenker

„Freidenker“ ist der Sammelbegriff für atheistische Organisationen, die den Kirchen und der Praxis des christlichen Glaubens kritisch gegenüber stehen. Häufig korrespondiert der kirchenkritische Impuls mit einer allgemeinen Religionskritik, die jedoch unterschiedlich stark betont wird. In jüngster Zeit erheben diese Organisationen zunehmend den Anspruch, die Interessen aller nicht kirchlich oder religiös gebundenen Menschen zu vertreten. Das politische Engagement dieser Bewegungen zielt zumeist darauf, die herausgehobene Stellung der großen christlichen Kirchen in der Gesellschaft zu beenden.

Das Freidenkertum entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Deutsche Freidenkerbund wurde 1881 gegründet. Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts schlossen sich verschiedene Organisationen erstmals zu einem sozialdemokratisch orientierten Dachverband zusammen, der ab 1930 Deutscher Freidenker-Verband (DFV) hieß. Parallel dazu hatte die KPD 1929 ihre Mitglieder zur Gründung eines Verbandes proletarischer Freidenker Deutschlands aufgerufen. Die Verbände waren untereinander zerstritten, zusammen sollen sie jedoch bis zu 600.000 Mitglieder gezählt haben. 1932/33 wurden die verschiedenen Freidenkerorganisationen verboten und ihre Verbände enteignet. Nach Kriegsende gründete sich der Deutsche Freidenker-Verband 1945 in Hamburg neu. Heute haben die im DFV organisierten Freidenker bei einer überalterten Mitgliederstruktur etwa 3.000 Mitglieder und sind politisch nahezu einflusslos.

Aus dem Deutschen Freidenker-Verband – Sitz Berlin West ging Anfang 1993 der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hervor. Bundesweit hat der HVD derzeit etwa 10.000 Mitglieder. Man muss zwischen den „klassischen“ Freidenkern und den vom HVD vertretenen Positionen unterscheiden. Die Freidenker verstehen sich als Weltanschauungsgemeinschaft, deren Mitglieder „für weltanschauliche Selbstbestimmung“ eintreten. „Sie fördern und verbreiten eine nichtreligiöse, rational begründete Weltsicht, die sich auf ein Denken frei von Vorurteilen, Dogmen und Tabus stützt und sich an wissenschaftlich begründeter Erkenntnis orientiert.“ Politisch treten die Freidenker „für die volle Verwirklichung der Gewissens-, Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit“ ein, und sie fordern „die konsequente Trennung von Staat und Kirche sowie von Kirche und Schule“, das meint konkret die Abschaffung des Religionsunterrichts und die Auflösung der Theologischen Fakultäten. Ebenso fordert man, dass die kirchlich verantwortete Militärseelsorge eingestellt wird und dass die Kirchensteuer nicht mehr von den Finanzämtern eingezogen werden darf.

Der HVD leitet jedoch eine Neuorientierung in den „klassischen“ Freidenkerpositionen ein: Er fordert nicht mehr die Abschaffung des Religionsunterrichts, der kirchlichen Militärseelsorge, der Theologischen Fakultäten usw., sondern reklamiert vergleichbare Sonderregelungen auch für sich. So bietet der HVD in Berlin den sog. „Lebenskundeunterricht“ an. Wichtigstes und bekanntestes Handlungsfeld der freidenkerischen Bewegungen sind die Jugendweihen bzw. Jugendfeiern.

Aus christlicher Perspektive vermögen die Antworten der Freidenker auf zentrale Fragen des menschlichen Daseins, wie die nach dem Sinn des Lebens, nach Leid und Tod, nicht zu überzeugen. Nicht nur in Grenzsituationen, sondern auch als Basis einer Wertbestimmung und Lebensorientierung erscheinen sie wenig tragfähig.

Andreas Fincke, März 2005


Literatur

Andreas Fincke, Freidenker – Freigeister – Freireligiöse. Kirchenkritische Organisationen in Deutschland seit 1989, EZW-Text 162, Berlin 2002

Ders., Woran glaubt, wer nicht glaubt, Lebens- und Weltbilder von Freidenkern, Konfessionslosen und Atheisten in Selbstaussagen, EZW-Text 176, Berlin 2004