Konversion / Religionswechsel

Mit „Konversion“ (von lat. convertere, umwenden, umkehren) können verschiedene Sachverhalte bezeichnet werden. Meistens ist damit der Wechsel der Religionszugehörigkeit gemeint (interreligiöse Konversion, z. B. vom Islam zum Christentum). Es gibt aber je nach Zusammenhang vielfältige Formen: religiöse Konversion (z. B. vom Agnostiker zum Glaubenden), innerkirchliche (Wechsel des Frömmigkeitsstils), interkonfessionelle (z. B. vom Katholiken zum Protestanten). Der Begriff „Dekonversion“ bezeichnet die Abwendung vom vorherigen Glauben.

Zuverlässige Angaben über die Anzahl der Konversionen können nicht gemacht werden, weil religiöse Gemeinschaften zwar Mitgliederlisten führen und Neuzugänge durch Taufen oder andere Rituale erfassen, nicht aber die religiöse Herkunft und Vorgeschichte ihrer Neumitglieder. Auch die Richtungen der Konversionen sind deshalb unbekannt.

Es sind große kulturelle Unterschiede zwischen traditionellen und modernen Gesellschaften zu berücksichtigen, die in dem Einwanderungsland Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnen. Während in individualistischen Kulturen die Entscheidung des Einzelnen höchste Priorität besitzt, sind in kollektivistischen Kulturen gemeinschaftliche Konversionen üblich. Ein Familienoberhaupt lässt sich etwa zusammen mit seiner gesamten Familie taufen, ohne dass die einzelnen Familienmitglieder dazu befragt werden. In anderen Erdteilen sind Religionswechsel z. T. nichts Besonderes. So konvertiert etwa die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung nach Angaben des Pew Research Centers in Laufe ihres Lebens zu einer neuen Konfession bzw. Religion. In manchen anderen Kulturen, beispielsweise in Japan oder China, sind Konversionen unwichtig, weil religiöse Mehrfachzugehörigkeiten häufig vorkommen. Auch in Deutschland findet die Vorstellung einer multiplen religiösen Identität, dass sich zum Beispiel ein Christ ebenso als Buddhist versteht, vermehrt Zuspruch.

Ergebnisse der Konversionsforschung

Das Ergründen und die Beschreibung der Motive eines Religionswechsels hat eine lange Tradition in der Religions- und Missionswissenschaft. Nach wie vor strittig ist die Frage, wie der exklusive Wahrheitsanspruch einer Glaubensrichtung mit der Realität der Vielfalt religiöser Gruppen in Einklang gebracht werden kann.

Anfang des 20. Jahrhunderts war Konversion ein klassisches Thema der Religionspsychologie, die nach den Motiven und Erklärungsmustern für Umbrüche und Neuinterpretationen des Lebens suchte. Übereinstimmend berichten Konvertiten entweder von einem besonderen Bekehrungserlebnis oder einem Prozess spiritueller Transformation, wodurch sie deutlich zwischen einem „Vorher“ und einem „Nachher“ unterscheiden. Im Lebensrückblick nehmen die Konvertiten zumeist eine biografische Rekonstruktion ihrer Geschichte vor. Sie charakterisieren ihre Lebenssituation vor der Bekehrung als eher negativ, nach dem Glaubenswechsel als positiv. Die sozialwissenschaftliche Konversionsforschung beschreibt den Prozess der Einstellungsänderung als ein komplexes und dynamisches Phänomen aus drei zentralen psychologischen Faktoren: der Persönlichkeitsentwicklung, der subjektiven Erfahrungsqualität sowie den sozialen Einflüssen. Je nach Person und Situation können diese drei Faktoren ganz unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

Durch die Konjunktur neuer religiöser Bewegungen hat sich die Religionssoziologie ab den 1970er Jahren intensiver mit dem Phänomen der Konversion beschäftigt. Die amerikanischen Soziologen John Lofland und Rodney Stark haben die Konversionsmotive und -verläufe von Mitgliedern der Vereinigungskirche (Moon-Bewegung) untersucht. Ihr einflussreiches Konversionsmodell sieht in dem Konvertiten nicht eine schwache Person, die von einer fremden Glaubensrichtung beeinflusst und zum Übertritt gedrängt wurde. Vielmehr charakterisieren sie Konvertiten als aktive Sinnsucher, die in der Glaubensgemeinschaft eine neue spirituelle Heimat gefunden haben. Bekehrung ist nach diesem soziologischen Modell kein irreversibler Zwangsprozess pathologischer Beeinflussung, sondern kann sich auch stabilisierend und positiv auswirken.

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ hat 1998 Forschungsgutachten zum Thema Konversion in Auftrag gegeben. Als eine wichtige Motivation für einen Religionswechsel stießen die Forscher bei den Konvertiten auf die Überzeugung, dass ihre Lebensthemen in der neuen Gemeinschaft besser bearbeitet werden können. Die „Passung“ von Sozialstruktur und Orientierungsangebot der Gruppe mit der Persönlichkeit des Individuums wird als ein wechselseitiger Prozess verstanden, dessen Zusammenspiel weitgehend den Verlauf einer Konversion bzw. Dekonversion bestimmt. Demnach ist für eine Konversion weniger die religiöse Entscheidung ausschlaggebend, sondern eher die bewusste Hinwendung zu einem sozialen Kontext und einem Lebensstil, der den Bedürfnissen des Konvertiten entgegenkommt.

Ob nun persönlichkeitsspezifische Bedürfnisse oder das passende soziale Angebot der Gruppe zu einer Konversion geführt haben – in aller Regel geht ein Glaubenswechsel mit psychischen und sozialen Konflikten einher. Nach der Konversion findet eine Neuausrichtung der Werte statt, und die sozialen Kontakte verändern sich. Eine solche Lebensveränderung kann u. U. so extrem sein, dass sie zu psychiatrischen Symptomen führt. Deshalb ist der psychiatrische Krankheitsschlüssel DSM (Diagnostical and Statistical Manual) um die Diagnose „religiöses oder spirituelles Problem“ (V 62.89) ergänzt worden. Diese Kategorie soll dann vergeben werden, wenn im Vordergrund der klinischen Aufmerksamkeit ein solches Problem steht. Dazu zählen belastende Erfahrungen, die den Verlust oder die Kritik von Glaubensvorstellungen nach sich ziehen, Probleme im Zusammenhang mit der Konversion zu einem anderen Glauben oder das Infragestellen spiritueller Werte, auch unabhängig von einer organisierten Kirche oder religiösen Institution.

Die Bedeutung der Konversion wird dadurch relativiert, dass in unserer Gesellschaft die Bereitschaft gesunken ist, sich langfristig (auch religiös) zu binden. Zunehmend ist ein subjektiver Patchwork-Glaube vorzufinden, in den verschiedene religiös-spirituelle Überzeugungen eingeflossen sind. Diese Mixtur wird permanent erweitert und verändert – den „spirituellen Wanderer“ zeichnet seine „fluide Religiosität“ aus. Die aktuelle Religionsforschung skizziert heute den Sinnsucher als jemanden, dessen Glaubensgeschichte von einer sukzessiven Abfolge zeitweiliger religiös-spiritueller Gruppenzugehörigkeiten geprägt wurde. Die Forscher der Enquete-Kommission haben diesen Typus den „akkumulativen Häretiker“ genannt, dessen Lebenslauf durch sequenzielle Bekehrungen im Sinne einer „Lebensabschnittsreligion“ gekennzeichnet ist.

Andererseits hat das Konversionsthema durch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen an Bedeutung gewonnen. Weil immer weniger Menschen in einem geschlossenen konfessionellen Milieu aufwachsen, wird die eigene Entscheidung in Glaubensfragen immer wichtiger.

Konversionen werden im Hinblick auf mögliche Manipulationen misstrauisch betrachtet. 20 bis 25 Prozent der Anhänger des sogenannten Islamischen Staates sollen Konvertiten sein, und mehrere Tausend in Europa aufgewachsene Jugendliche haben sich von den kämpferischen Versprechen salafistischer Prediger locken lassen und sich den identitätsverändernden Prozessen einer Radikalisierung überlassen. Durch die Migrations- und Flüchtlingswelle hat das Konversionsthema an aktueller politischer Brisanz gewonnen. Es besteht die Möglichkeit eines Bleiberechts für zum Christentum konvertierte Flüchtlinge, wenn eine Rückkehr aufgrund von Christenverfolgung im Heimatland aus humanitären Gründen nicht möglich ist. Durch gründliche Taufvorbereitungskurse und Prüfungen versuchen die Kirchen zu verhindern, dass eine Taufe als „Asyltrick“ eingesetzt wird.

Konversion und Religionsfreiheit

In Kaiserreichen und Monarchien gab es in der Geschichte immer wieder Konflikte, wenn ein zur Staatsreligion erhobener Glaube keine freie Religionsausübung ermöglichte und Minderheiten und Abweichler zu einer Konversion gezwungen wurden. Noch bis ins 20. Jahrhundert waren konfessionsverschiedene Ehen in traditionellen europäischen Familien kaum möglich, zu schwer lastete der Konversionsdruck auf dem zukünftigen Ehepartner. Die Konflikte liegen hier auf der Hand, denn sozialpsychologisch gilt eine Konversion als Verrat an der Gemeinschaft. Erst in der 1948 verabschiedeten UN-Menschenrechtscharta wird jedem Menschen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zugesprochen. Ausdrücklich schließt dieses Recht die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln.

Ein Ziel pluralistischer Gesellschaften besteht in der Konvivenz verschiedener Glaubensrichtungen, einem friedlichen, konfliktarmen Zusammenleben unterschiedlicher Religionsgemeinschaften. Ein wichtiges Thema ist dabei die Einstellung der Religionsgemeinschaften gegenüber der Konversion: Wird sie als eine Bedrohung gesehen? Werden Menschen unter Druck gesetzt, wird ihnen etwas aufgezwungen? Oder kann der Schritt zu einer neuen Glaubenshaltung, -praxis und -gemeinschaft auch als ein persönlich stimmiger Schritt der Neuorientierung gesehen werden? Erst die Akzeptanz einer freien Religionswahl macht Konvivenz möglich, die eine Grenzüberschreitung aus dem engen Freund-/Feind-Schema geschlossener religiöser Gruppen bedeutet.

Traditionell wird Bekehrung als ein Kernanliegen missionierender Religionen angesehen. Weil aber Mission häufig mit Proselytismus gleichgesetzt wird, hat sie für viele einen negativen Beigeschmack oder wird gänzlich abgelehnt. Mit der beschämenden Vergangenheit von rücksichtslosem und aggressivem Missionseifer will man heute nichts mehr zu tun haben. Neuere missionstheologische Überlegungen weisen jedoch in eine andere Richtung. Hier wird Mission zuerst als Zeugnisgeben verstanden (Lk 24, Apg 1). Aus dieser Perspektive ist das Ziel von Mission weder Religionswechsel noch Taufe (Müller 2016). Im Mittelpunkt steht das glaubwürdige Zeugnis, das die persönlichen Lebensveränderungen durch den Glauben in den unterschiedlichen Lebenswelten sichtbar und verständlich macht. Mission wird so als eine grundsätzliche Lebenshaltung verstanden, nicht als Strategie zum Umgang mit Andersglaubenden.

Genauso, wie jede Religionsgemeinschaft das Recht auf Verkündigung und Mission hat, ist die Möglichkeit der Konversion ein persönliches Grundrecht, das unter den staatlichen Schutz der Religionsfreiheit fällt. In Praxis und Gesetzgebung verschiedener Staaten und Rechtssysteme wird es bis heute aber nur teilweise eingehalten. Dabei erweist sich gerade die Konversion als Prüfstein, an dem das Maß der tatsächlich vorhandenen (Religions-)Freiheit sichtbar wird. Hohe Konfliktpotenziale birgt eine Konversion in Ländern, deren Regierung einer radikalen Auslegung des Islam folgt. In vielen islamischen Ländern ist eine Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion strafbar (Saudi-Arabien, Sudan, Jemen). Laut dem aktuellen Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums sind weltweit immer noch in jedem vierten Staat Blasphemiegesetze im Kraft, die Minderheiten unterdrücken oder den Abfall vom Glauben bestrafen.

Die Einstellung zum Thema Konversion hängt eng mit dem Missionsverständnis zusammen. Aus christlich-theologischer Sicht ist heute für das Missionsverständnis die Einbeziehung des interreligiösen Dialogs unverzichtbar (Troll/Schirrmacher 2011). Dazu gehören vor allem Respekt und Toleranz gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen und -richtungen. Das eigene Missionsverhalten sollte immer wieder selbstkritisch überprüft werden. Zum Dialog gibt es in pluralistischen Gesellschaften keine Alternative, doch sollte die Begegnung zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionen nicht auf den Dialog reduziert werden (Hempelmann 2016). Dialog und Mission widersprechen sich nicht.

Michael Utsch, Oktober 2016


Literatur

Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt. Empfehlungen für einen Verhaltenskodex (Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog, Ökumenischer Rat der Kirchen, Weltweite Evangelische Allianz), 2011, abrufbar unter www.oikoumene.org und dokumentiert in MD 8/2011, 296-299

Hansjörg Hemminger, Psychologie der Konversion, in: ders., Grundwissen Religionspsychologie, Gütersloh 2003, 79-93

Reinhard Hempelmann, Dialog und Mission – kein Widerspruch, in: MD 8/2016, 283f

William James, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur (1902), Berlin 2014

Hubert Knoblauch/Volkhard Krech/Monika Wohlrab-Sahr (Hg.), Religiöse Konversion, Konstanz 1998

Christine Lienemann-Perrin/Wolfgang Lienemann (Hg.), Religiöse Grenzüberschreitungen. Studien zu Bekehrung, Konfessions- und Religionswechsel, Wiesbaden 2012

Hubert Mohr, Konversion/Apostasie, in: Hubert Cancik et al. (Hg.) Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 3, Stuttgart 1993, 436-445

Johannes Müller, Mission und Respekt. Bekehrung und Taufe als Zielbestimmung von Mission, in: Brennpunkt Gemeinde 4/2016, 134-138

Christian Troll/Thomas Schirrmacher, Der innerchristliche Ethikkodex für Mission. Eine Einführung, in: MD 8/2011, 293-295

Monika Wohlrab-Sahr, Konversion zum Islam in Deutschland und den USA, Frankfurt a. M. 1998