Mission
„Wir wollen nicht missionieren!“ So stellen sich kirchliche Einrichtungen von Diakoniestation über Kindergarten bis Obdachloseninitiative häufig vor. „Missionieren“ zu wollen, ist in einer säkularen Umwelt ein schwerer Vorwurf. Hinter der Aussage, es nicht zu wollen, steckt einerseits Sensibilität im Umgang mit einem Reizwort und andererseits eine Selbstvergessenheit des Daseinszwecks der Kirche und ihres von diesem abgeleiteten sozialen, diakonischen, gottesdienstlichen und anderen Handelns. „Mission gehört zutiefst zum Wesen der Kirche. Darum ist es für jeden Christen unverzichtbar, Gottes Wort zu verkünden und seinen Glauben in der Welt zu bezeugen“, bekannten 2011 Ökumenischer Rat der Kirchen, Weltweite Evangelische Allianz und Päpstlicher Rat für Interreligiösen Dialog gemeinsam.
Begriff und Geschichte
Mission heißt Sendung (von lat. mittere – schicken, senden). Der Missionar ist demnach der „Entsandte“ oder „Bote“, bedeutungsgleich mit dem „Apostel“ (aus dem Griechischen). Alle Kirchen der Welt außerhalb der Urgemeinde sind in diesem Sinne Missionskirchen. Das Begriffsverhältnis zwischen Mission und Evangelisation ist nicht eindeutig definiert. Meist wird „Evangelisation“ speziell für die mündliche Verkündigung als Glaubensruf, also einen Teilaspekt der Mission benutzt. Im Folgenden geht es primär um die neuzeitliche protestantische und geografisch, kulturell, religiös grenzüberschreitende Missionsbewegung und -theologie.
Das Christentum ist – neben Buddhismus und Islam – eine von drei großen missionarischen Religionen, die aufgrund eines universalen Geltungsanspruchs von Anfang an gezielte Aktivität zu ihrer Ausbreitung entfaltet haben und im Sinne globaler Verbreitung und universalen Geltungsanspruchs Weltreligion wurden. Ohne grenzüberschreitende Mission und Einladung zu persönlicher Glaubensannahme wird Religion zum ethnischen Ghetto.
Mit dem Ende der Ausbreitung des Christentums in Europa setzte eine Missionsvergessenheit ein, das „christliche Abendland“ entstand. Erst in der Neuzeit brachen die Dänisch-Hallische Mission 1706 und die Herrnhuter Brüdergemeine 1732 als geistige Kinder des Pietismus diese Isolation auf. Sie setzten sich zum Ziel, den Glauben in aller Welt zu verkünden. Da aber die institutionalisierten Kirchen meist skeptisch blieben, wurden in den folgenden 200 Jahren in vielen Ländern von Laien sogenannte „Missionsgesellschaften“ als freie, kirchenunabhängige Werke gegründet. Diese waren anfangs meist interkonfessionell, da man nicht die europäischen Kirchenspaltungen exportieren wollte. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine Konfessionalisierung ein.
Etwa um dieselbe Zeit verbreitete sich die Einsicht, dass auch die christlichen Länder der Umkehr bedurften, woraus die „Innere Mission“ entstand (Johann Hinrich Wichern, Theodor Fliedner), die aber heute in Diakonischen Werken außerhalb der Kirchen aufgegangen ist und Begriff wie Sache der Mission fast völlig aufgegeben hat.
Sozialer Einsatz und Politik
Von Anfang an bestand die Sendung Christi und später der Kirche nicht nur in der Predigt, sondern auch in Heilung (ärztliche Mission), Bildung (Schulgründung) und politischem Engagement, das z. B. beim Einsatz für die Rechte Schwarzer im 18. und 19. Jahrhundert auch zur Ausweisung von Missionaren führen konnte. Aus der Mission gingen die britische Anti-Sklaverei-Bewegung, die Entwicklungshilfe und die ökumenische Bewegung (Weltmissionskonferenz Edinburgh 1910) hervor.
Das Verhältnis von Mission und Kolonialismus war komplex. Zeitlich ging die Mission dem Kolonialismus oft voraus. In anderen Fällen folgte sie der kolonialen Eroberung, kooperierte mit ihr und unterstützte sie. Häufig war das Verhältnis zwischen Missionsgesellschaften und Kolonialherrschaft gespannt, etwa wenn nationale oder konfessionelle Unterschiede bestanden (z. B. die Londoner Mission im französischen Tahiti, Evangelische Pariser Mission unter katholischen Verwaltungen).
Aus dem akademischen Interesse vieler Missionare, die lebenslang in fremde Gesellschaften eintauchten, zahllose Sprachen verschriftlichten, Kulturen und Religionen beschrieben, Artefakte bewahrten, entstanden zunächst die Missionswissenschaft und dann deren säkularisierte Abkömmlinge Ethnologie und Religionswissenschaft.
Heute wird unter dem missionstheologischen Paradigma der „Missio Dei“ betont, dass Mission nicht eine Aktivität der Kirche, sondern Gottes ist. Die Sendung der Kirche (gen. obj.), die wir „Mission“ nennen, ist nicht eine Aktivität unter anderen, sondern der Kern ihres Wesens und demnach eine Weiterführung und Konsequenz der Inkarnation Gottes, also der „missio“ des Sohnes durch den Vater. Das hat Auswirkungen auf die Gestalt und die Träger der Mission. Die Missio-Dei-Theologie und äußere Faktoren („Missionsgebiete“ wurden unabhängige einheimische Kirchen) führten dazu, dass Mitte des 20. Jahrhunderts die freien Missionsgesellschaften in die verfassten Kirchen integriert wurden. Dadurch wurde die Mission kirchlich-bürokratischer, ohne dass, wie erhofft, die Kirchen missionarischer wurden.
Theologische Einordnung und Missionskritik
In der Bibel kommt der Begriff „Mission“ nicht vor. Dennoch gehört die Weitergabe des Evangeliums, auch als eigenständige Aktivität, zu deren Zweck grenzüberschreitende Reisen unternommen werden, zentral zum Neuen Testament. Das meistzitierte Leitbild ist der sogenannte „Missionsbefehl“ in Matth 28,19f (vgl. auch Apg 1,8; Röm 10,17f). Als Missionsmodell ist auch 1. Petr 3,15f zu nennen, wo neben dem Inhalt („die Hoffnung, die in euch ist“) von der Kommunikationsform („mit Sanftmut und Geduld“) die Rede ist. Daher ist Unbehagen am Verb „missionieren“ durchaus sachgemäß. Denn das Verb verlangt nach einem (Missions-)Objekt, was nicht evangeliumsgemäß wäre. Die Kunst bei diesem Missionsmodell besteht darin, so zu leben, dass wir zur Frage nach der „Hoffnung, die in uns ist“, anregen.
Theologisch zentral ist die Idee des grundsätzlichen Heilswillens Gottes für alle Menschen und der Gnadenbedürftigkeit aller. Die hieraus folgende Vorstellung der Gleichheit aller Menschen unabhängig von Hautfarbe und Kultur scheint heute selbstverständlich, war aber früher revolutionär. Das führt zu einem Modell von Kirche als Gemeinschaft aus verschiedenen Völkern nach Gal 3,28 (als bildliche Darstellung vgl. das „Erstlingsbild“ von Johann Valentin Haidt 1737).
Mission als Grenzüberschreitung führt zu interkultureller und interreligiöser Begegnung. Darum ist Dialog die logische Konsequenz von Mission, nicht ihr Gegensatz. Gerade weil Mission dem Fremden existenziell begegnet und nicht nur mit musealer, ethnografischer Neugier, tritt sie in einen echten Dialog von Mensch zu Mensch. Damit dieser gelingt, ist es nötig, zum einen buchstäblich und metaphorisch die fremde Sprache zu lernen, zum anderen die Gegenseitigkeit zu wahren, denn das Bewusstsein der religiösen oder kulturellen Überlegenheit stößt schnell an Kommunikationsgrenzen.
Mission sah sich von Anfang an mit Kritik aus Kirche und Gesellschaft konfrontiert, wobei ein Teil der älteren Kritik der modernen weitgehend ähnelt. Sie betrifft die Themen Kolonialismus, Gewalt, Hochmut und Kulturzerstörung. Die Kritik war nicht einheitlich, insofern man einerseits die kolonialen Verquickungen, andererseits die mangelnde national-koloniale Gesinnung der Mission bemängelte. Weil die angelsächsische und die Herrnhuter Mission eher auf die „Rettung“ einzelner Seelen zielte, wurde kritisiert, hier würden einzelne Menschen ihrer Kultur entfremdet und von der christlichen Ersatzfamilie abhängig gemacht. Daher förderte deutsche und niederländische Missionstheologie eher die Christianisierung ganzer Völker (unter dem Stichwort „Volkskirche“), was aber den Vorwurf der Kulturzerstörung auf sich zog und nach 1945 sogar als „völkisches“ Denken unter Faschismusverdacht gestellt wurde (Hoekendijk).
Beim Thema „Glaube und Kultur“ wird ein Dilemma deutlich, das im Kern des Evangeliums angelegt ist. Das Verhältnis ist ein dreifaches: Glaube hat einerseits ein konflikthaftes Element in Bezug auf Herkunftskultur und -beziehungen (Matth 10,34ff). Andererseits schafft christlicher Glaube eine neue Gemeinschaft als alternative, das Alte transzendierende Kultur (Gal 3,28f). Und schließlich inkarniert er sich im missionarischen Prozess in eine Kultur und existiert immer nur in dieser Form konkreter Inkulturation („Gottes Wort spricht nur Dialekt“). Keine Kultur kann normativ als Basis des „richtigen“ Christlichen gelten. Gerade dies aber ist bis heute die größte Versuchung der westlichen Kirchen: Früher exportierte man mit dem Evangelium z. B. eine „züchtige“ Kleiderordnung zu den „Wilden“, heute eine „gerechte“ Genderpolitik zu den Partnerkirchen.
Missionstheologie muss sich also schon immer mit der Frage des Verhältnisses zwischen Evangelium und kulturellen Vorfindlichkeiten befassen (Polygamie, Ahnenverehrung, Geschlechterrollen). Was passt zum Evangelium, was nicht? Welche Normen gehören zum Evangelium, welche bloß zur westlichen Kultur? Die Antworten fielen je nach Zeit und Ort unterschiedlich, oft auch gegensätzlich aus. Die Diskussion über Evangelium und Kultur und die Grenzen von Inkulturation bedeutet, dass auch die Apologetik letztlich zur Missionstheologie gehört.
Hier ist auch der Bekehrungsbegriff relevant. Umgangssprachlich versteht man darunter einen Religionswechsel, oft als Bruch mit der eigenen Vergangenheit und Herkunftsreligion. Der biblische Befund aber zeigt ein differenzierteres Bild, in dem die Begegnung mit dem Evangelium in verschiedenem Maße zur Integration oder Ablehnung von Vorstellungen führen kann. Dabei kann man auch unterscheiden, ob diese intensivierten oder abgelegten Vorstellungen aus der Herkunftsreligion bzw. -kultur oder aus dem Christentum kommen. Es ergibt sich ein durchaus differenziertes Bild. Die Begegnung führt zu verschiedenen Arten von „Bekehrung“ als Konstruktion verschiedener Kombinationen religiöser Identität. So haben wir keinen Hinweis darauf, dass die Weisen aus dem Morgenland (Matth 2) irgendwann Christen wurden. Vielmehr haben sie offenbar ihre religiöse Basis verbreitert, indem sie zusätzlich zu ihrem eigenen Glauben nun auch den Christus verehrten. Weder der Kämmerer (Apg 8) noch der Hauptmann Cornelius (Apg 10) scheinen ihre Taufe als Bruch ihrer religiösen Identität erlebt zu haben, möglicherweise hingegen aber Paulus. Daher geben Missionstheologie und Ökumenische Theologie Impulse für die Apologetik: Mission erinnert daran, welch große Bandbreite des christlich Integrierbaren sowohl die Bibel als auch die weltweite Kirche besitzen.
Kai Funkschmidt, Oktober 2013
Literatur
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Hoekendijk, Johannes Christiaan, Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft, München 1967 (ndl. Amsterdam 1948)
Huber, Friedrich, Das Christentum in Ost-, Süd- und Südostasien sowie Australien, Leipzig 2005
Kohler, Werner, Was ist überhaupt Mission? in: Hahn, Ferdinand (Hg.), Spuren ... Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Ostasien-Mission, Stuttgart 1984, 38-54
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World Council of Churches/World Evangelical Alliance/Pontifical Council for Interreligious Dialogue, Christian Witness in a Multi-Religious World. Recommendations for a Code of Conduct, June 2011
Zeitschriften
Zeitschrift für Interkulturelle Theologie (Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft)
International Review of Mission (Missionsabteilung des ÖRK)
International Bulletin of Missionary Research (Overseas Ministries Studies Center, New Haven)
Internet
www.aem.de (Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen)
www.a-m-d.de (Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste)
www.mission.de (Evangelische Kirche in Deutschland)
www.emw-d.de (Evangelisches Missionswerk)