Subud

Subud ist der Name einer neuen religiösen Bewegung, die unabhängig von der religiösen, weltanschaulichen und kulturellen Herkunft zu eigenständiger und unmittelbarer Gotteserfahrung führen will. Im Mittelpunkt steht ein Übungsprozess, der dazu dient, mit der „Großen Lebenskraft“ in Berührung zu kommen und von ihr durchdrungen zu werden. Ziel ist es, dass jedes Wesen den ihm entsprechenden Weg zu Gott oder dem „Großen Leben“ findet. Da jedes Wesen individuell verschieden ist, sind auch die Wege unterschiedlich. „Jeder empfängt, was er braucht, und das ist für jeden etwas anderes.“1  Subud versteht sich daher nicht als eigene Theorie oder Lehre, noch weniger als neue Religion, sondern als eine „geistige Bruderschaft“. Subud betreibt keine öffentliche Werbung oder aktive Missionierung. Ein Wachstum wird durch persönliche Kontakte erhofft, allerdings scheinen die Zahlen eher zurückzugehen.

Geschichte

Muhammad Subuh Sumohadiwidjojo wurde 1901 auf Java in Indonesien geboren. Schon dem Kind wurden wundersame Erlebnisse und wahrsagerische Fähigkeiten nachgesagt. Er wurde Buchhalter und arbeitete bei der Eisenbahnverwaltung. 1924 machte Muhammad Subuh in mondloser Nacht eine Erleuchtungserfahrung, bei der plötzlich strahlendes Licht in Gestalt einer Kugel von oben in ihn eindrang und ihn mit Strahlen und Vibrationen erfüllte. Ähnliche Erlebnisse mit inneren Erfahrungen und unwillkürlichen Bewegungen hatte er in den folgenden drei Jahren („1000 Nächte“) regelmäßig. 1933 wurde ihm in einer Berufungsvision klar, dass er seine Erfahrungen mit dem unmittelbaren Kontakt zur „Großen Lebenskraft“ anderen Menschen weitervermitteln sollte. Das zunächst spontane Erleben wurde Ziel eines Übungsprozesses, in den immer mehr Menschen eingeführt (für den immer mehr Menschen „geöffnet“) wurden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Muhammad Subuh einige Hundert Anhänger. Die Bewegung begann sich über Indonesien hinaus zu verbreiten. 1947 wurde die erste Vereinigung gegründet, die internationale „Geistige Bruderschaft Susila Budhi Dharma“ (kurz: Subud).

Durch den zum Islam konvertierten britischen Linguisten Husein Rofé (1922 – 2008), der auf Java der Bruderschaft beitrat, wurde Subud ab Mitte der 1950er Jahre auch in Europa bekannt. Besondere Resonanz fand die Bewegung im Umfeld von britischen Anhängern des Esoterikers Georges I. Gurdjieff, der kurz zuvor gestorben war (1866 – 1949). Gurdjieff hatte einen „neuen Meister aus Niederländisch Ostindien“ angekündigt, der nun von einigen in Muhammad Subuh erkannt wurde. „Bapak“, wie dieser von seinen Anhängern genannt wird („Vater“, respektvolle indonesische Anrede, auch „Pak“), wurde 1957 nach England eingeladen und feierte Erfolge. Großen Einfluss auf die rasche weitere Verbreitung von Subud im Westen hatte der Mathematiker John G. Bennett (1897 – 1974), eine führende Figur in der britischen Gurdjieff-Bewegung, der die Sache der Bruderschaft einige Jahre lang nicht zuletzt durch wichtige Publikationen wirkungsvoll vorantrieb.

Von nun an bereiste Bapak zahlreiche Länder, darunter Ende 1957 zum ersten Mal Deutschland (erstes Subudhaus in München), praktizierte mit seinen Anhängern und hielt Vorträge. Seit 1959 werden etwa alle vier Jahre Weltkongresse durchgeführt. Die 15. weltweite Zusammenkunft findet 2018 nach 1975 zum zweiten Mal in Deutschland statt (in Freiburg i. Br.). Pak Subuh starb 1987 im Alter von 86 Jahren.

Lehre und Praxis

Das Wort Subud knüpft nicht an den Namen Subuh an, sondern ist eine Abkürzung der drei Sanskritbegriffe Susila, Budhi und Dharma. Susila bezeichnet nach der Erklärung des Gründers die Fähigkeit des Menschen, nach dem Willen Gottes zu leben. Budhi ist die göttliche Kraft im Menschen, „die in uns und außerhalb von uns wirkt“. Dharma ist – spezifischer als das hinduistische „Weltgesetz“ – die „Hingabe im Empfangen der Gnade des Allmächtigen“. Alle Geschöpfe haben demnach die Möglichkeit, „sich völlig dem Willen Gottes zu unterwerfen“.

Muhammad Subuh war und blieb Zeit seines Lebens Muslim. Knapp 90 Prozent der Indonesier bekennen sich als Muslime. Auf Java herrschen Traditionen vor, die stark von vorislamischen javanischen Elementen sowie von hinduistischen und buddhistischen Einflüssen geprägt sind, während die Scharia weitgehend als nicht verbindlich betrachtet wird („Abangan“). Zudem spielt in der javanischen Religiosität traditionell neben Ritualismus, Magie und Mythologie die mystische Dimension eine große Rolle ebenso wie die Verehrung von Heiligen. Bapak war in jungen Jahren mit dem Sufismus des indonesischen Naqschbandi-Qadiri-Ordens in Berührung gekommen. Insofern kann Subud als ein Ableger der javanischen mystischen Traditionen („Kebatinan“) gelten. Der Sufismus war der Mutterboden verschiedener universalreligiöser Bewegungen, etwa Inayat Khans oder Idries Schahs.

Religiöse Zuschreibungen wies Bapak jedoch immer wieder zurück und betonte den universellen Charakter von Subud. Die „Unterwerfung unter Gottes Willen“ ist daher nicht „dogmatisch“ islamisch zu verstehen, zumal die monotheistische Vorstellung von Gott zwar deutliches Gewicht hat, aber pantheistische und gnostische Aspekte durchaus präsent sind. Die Große Lebenskraft mag jeder nennen, wie es seiner Tradition entspricht, sei es Gott, Allah, Jahwe, Brahman, Tao oder das Göttliche.

Der Mensch wird laut Subuh von einem seelischen Wesenskern bestimmt, der geistiger Natur ist und am Strom der „Großen Lebenskraft“ partizipiert. Körper und Persönlichkeit freilich, die den Wesenskern in seiner irdischen Existenz konditionieren, werden durch unterschiedlichste Einflüsse geformt und lenken den Menschen davon ab, seine wahre Identität zu finden. Deshalb muss die Sehnsucht nach dem Ewigen erst empfunden werden, damit der Mensch sich aufmacht, höhere Ebenen des Bewusstseins zu erlangen und so (durchaus in mehreren Erdenleben) letztlich zum Göttlichen „aufzusteigen“, zu Gott zurückzukehren. Zur komplexen Seelenlehre, die Subuh entfaltet, gehören sieben Ebenen oder „Kräfte“, die auch Sphären des universellen Lebens sind und gleichsam Stufen der Existenz darstellen: 1. die materielle, 2. die vegetative (Gestaltbildung, Wachstum, z. B. Pflanzen), 3. die animalische (Motorik, Triebe, persönlichkeitsformende Neigungen), 4. die menschliche Kraft (Sozialität, Verantwortlichkeit); diese vier Ebenen sind dem Verstand zugänglich. Die Kraft des vollkommenen Menschen (5.) und die Kraft des Erbarmens (6.) sind hingegen nicht intellektuell erfassbar und nicht durch „Wachstum“ erreichbar, sie können nur durch das Wirken der göttlichen Gnade „von oben“ her erschlossen werden. Die 7. Ebene bleibt ganz dem obersten Herrn der Welt vorbehalten. Das Subud-Emblem versinnbildlicht mit seinen sieben konzentrischen Kreisen und sieben von der Mitte ausgehenden Strahlen diesen grundlegenden Zusammenhang.

Das in den Reden des Gründers erläuterte Menschen- und Weltbild ist komplex, wurde freilich auch nie als für die Anhänger verbindliches Lehrsystem festgeschrieben. Es muss daher nicht übernommen werden und wird wohl auch eher als ein möglicher Zugang zum besseren Verständnis des Übungsprozesses betrachtet.

Die zentrale Subud-Praxis ist das Latihan Kejiwaan (indonesisch „geistige Übung“, „Training der Seele“), kurz Latihan. Im Mittelpunkt steht kein „Tun“, sondern ein „Empfangen“, eine individuelle Erfahrung. Verstand, Herz (Gefühl) und Wille sollen allein Gottes Willen unterstellt und ihm hingegeben werden. Hatten Menschen bisher versucht, willentlich ein Streben oder eine innere Entwicklung herbeizuführen, lässt das Latihan – abgesehen von der anfänglichen Zustimmung – auch den Impuls des Willens hinter sich, um zu „empfangen“ und zu „akzeptieren“, was Gott gibt. Das Latihan gibt dem bewussten und spürbaren Wirken der Gotteskraft Raum. Das bedarf eines formalen Rahmens, hat aber sonst keinerlei Rituale oder Vorschriften. Um in diesen Kontakt zu kommen, ist kein Vorwissen, jedoch anfangs eine „Öffnung“ notwendig. Das Latihan eines „Öffner“ genannten erfahrenen Mitglieds regt einen eigenen analogen Prozess bei dem Anwärter an, der von nun an ebenfalls praktizieren kann. Eine solche persönliche Einführung ist nach einer dreimonatigen Wartezeit möglich (Mindestalter 17 Jahre). Latihan wird in der Regel zweimal wöchentlich in der Gruppe für eine halbe Stunde durchgeführt. Beschreibungen der für Außenstehende nicht zugänglichen Übung enthalten in etwa folgende Elemente (die Abläufe können variieren): Männer und Frauen begeben sich getrennt in die dafür vorgesehenen Räume und halten eine Zeitlang Stille. Individuelle Gebete sind möglich. Mit einem Signal beginnt und endet die völlig auf das Empfangen ausgerichtete Hauptphase, die jeder und jede so erlebt, wie es seinem und ihrem Wesen bzw. spirituellen Entwicklungsstand entspricht. Es werden – wenn auch durchaus nicht von allen – Erfahrungen mit unwillkürlichen Bewegungen gemacht, mit Vibrationen, Stimmen, veränderten Zuständen; Laute werden geäußert, es wird gelacht, geweint, getanzt oder umhergegangen. Alles wird zugelassen, ohne auf andere und anderes zu achten. Dabei bleibt das normale Bewusstsein zu jedem Zeitpunkt erhalten.

Es wird ein Reinigungs- und Harmonisierungsprozess im Blick auf die vitalen Kräfte in Gang gesetzt. Die Übung ist nicht esoterischer Selbstzweck, sondern soll sich im Verhalten, im sozialen Engagement und vielem mehr bis hin zur physischen Gesundheit (Heilungen) positiv auswirken. Sie kann unterschiedliche Gefühle auslösen, Entspannung und tiefe Freude, aber auch irritierende Empfindungen. Dass in diesem Prozess auch Probleme auftauchen können, da die psychischen Widerstandsmechanismen herabgesetzt werden, ist den Übenden bewusst. Die Auswirkungen hängen von der psychischen Disposition der Person ab. Psychisch labilen Menschen wird davon abgeraten, am Latihan teilzunehmen.

Verbreitung, Organisation

Subud Deutschland e. V. ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Wolfsburg und 500 Mitgliedern in 18 Gruppen. Weltweit sind es nach eigenen Angaben ungefähr 10000 Mitglieder in rund 80 Ländern (1985: 20000 Mitglieder, 2003: 120002). Österreich hat 125 Mitglieder in zwei Gruppen, die Schweiz wird von Deutschland aus betreut. Die Welt ist aus praktischen Gründen in neun Zonen eingeteilt, Deutschland gehört zu Zone 4. Zwischen den von der World Subud Association (WSA) veranstalteten Weltkongressen ist der World Subud Council (Welt-Subud-Rat, WSC) für die Umsetzung der Beschlüsse verantwortlich. Das Vermögen der WSA wird von der Muhammad Subuh Foundation (MSF) verwaltet.

Mitglieder werden registriert. Neben normalen Mitgliedern gibt es „Helfer“. Sie haben mehrjährige Erfahrung und bringen sich in verschiedensten verantwortlichen oder unterstützenden Funktionen in der Regel ehrenamtlich für die Subud-Gemeinschaft ein. In den Gremien werden die Verantwortlichen regelmäßig ausgewechselt (vierjähriger Turnus). Personalwahlen werden mittels „Testen“ durchgeführt (eine besondere Form des Latihan, die auch genutzt wird, um Antworten auf Fragen unterschiedlicher Art zu erhalten).

Eigenständige Tochterorganisationen der WSA („Wings“) sind auf sozialem, humanitärem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet tätig, so etwa die Susila Dharma International Association (SDIA) und die Subud International Cultural Association (SICA). Jugendorganisation ist die 1983 gegründete Subud Youth Association (SYA).

Einschätzung

In den Erläuterungen des Gründers hat Subud esoterische und neugnostische Züge mit stark mystischem Charakter. Die spirituelle Suche nach Selbst-Verwirklichung im Kontakt mit der Gotteskraft verbindet auf dem Hintergrund des indonesischen Sufismus javanische synkretistische Elemente mit einem eminent erfahrungsorientierten Ansatz und modernem Individualismus. Die Mystik ist nicht weltabgewandt asketisch, sondern hat die Praxis des Alltags im Blick. Dabei wird dem Einzelnen allerdings eine umfassende Verantwortung für seine spirituelle Entwicklung, letztlich für sein Heil, aufgebürdet. Die psychotechnischen Aspekte können wohl unerwartete psychische Reaktionen oder emotionale Instabilität hervorrufen.

Eine Lehre wurde nie verpflichtend formuliert. Dem eigenen Anspruch nach verhält sich Subud neutral gegenüber den Inhalten aller religiösen (und nichtreligiösen) Bekenntnisse und ist daher für religiöse wie nichtreligiöse Menschen geeignet und verbindet sie über weltanschauliche und kulturelle Grenzen hinweg. Die vermeintliche Toleranz geht freilich mit einem durchaus vereinnahmenden Zugriff auf religiöse Traditionen und Weltanschauungen einher, die in ihrem Selbstverständnis nicht wahrgenommen werden und auch keine Geltung haben. Ihre inhaltlichen Differenzen werden für bedeutungslos erklärt, dagegen basiert die Erfahrung des Latihan doch wesentlich auf der aus gnostischen Lehrsystemen bekannten Vorstellung vom göttlichen Wesenskern und seinem „Aufstieg“ zu Gott. Eine emanative Herkunft der Seele aus dem Göttlichen wie auch der Reinkarnationsgedanke und monistische Vorstellungen von der letzten Einheit des Schöpfers in der Schöpfung sind von christlicher Seite indessen durch die Geschichte als nicht vereinbar mit dem Glauben an Schöpfung, Erlösung und Vollendung angesehen worden.

Friedmann Eißler, April 2017


Anmerkungen

1  Muhammad Subuh, zit. nach: Subud, 7.

2  Vgl. Meitzner, 158; Bussinger, 2. Beiden Autoren verdankt dieser Beitrag weitere Hinweise.


Internet

www.subud.de (= www.subud-deutschland.org)

www.subud.org / www.subud.com

www.subudworldnews.com

www.susiladharma.org

www.subud-sica.org

https://demystifyingsubud.wordpress.com (kritisch, älter)

https://forum.culteducation.com/read.php?5,42034 Cult Education Institute (kritisches Forum)

https://subudcritics.wordpress.com (apologetisch)

(Auf etlichen Internetseiten liegen die letzten Einträge einige Zeit zurück.)


Literatur

John G. Bennett, Subud, übers. von R. Gruson, Remagen 1958

Bettina Bussinger, SUBUD-Bruderschaft – eine Stellungnahme, Verein infoSekta, Schaffhausen 2004 (www.infosekta.ch/infos-zu-gruppen-und-themen/subud/subud-bruderschaft-eine-stellungnahme-bussinger-2003)

Antoon Geels, Subud and the Javanese mystical tradition, Richmond (UK) 1997

Brigitte Holmes-Edinger, Art. Subud, in: Harald Baer u. a. (Hg.), Lexikon nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, Freiburg i. Br. 2009, 214f

Manfred Meitzner, SUBUD – Programm eines Lebens von innen her, in: MD 6/1985, 156-167

Subud Deutschland e. V. (Hg.), Subud. Informationen für Interessenten, Wolfsburg 2014